Am Sonntag, den 15. 11.2015 organisierte der Bildungsverein Kano Suryoyo e.V. im Saal der St. Maria- Kirchengemeinde ein besonderes Programm. Mit „Dem Völkermord von 1915 an den Suryoye im Osmanischen Reich“ und „Der Terror des Islamischen Staates (IS) in Syrien/Irak“ wurden gleich zwei blutigen Ereignissen in der jüngeren Geschichte der Suryoye (Aramäer/Assyrer/Chaldäer) in Vorträgen, einer Lesung und einem Zeitzeugenbericht gedacht. Das Programm sprach in erster Linie ein aramäisch-sprachiges Publikum an.
Die Vortragsreihe nahm ihren Anfang mit einem umfassenden Aufriss von Prof. Dr. Shabo Talay (FU Berlin) über den Sayfo von 1915 an den Suryoye. Prof. Talay erläuterte zunächst das angestammte Siedlungsgebiete der Suryoye im Osten und Süd-Osten des damaligen Osmanischen Reiches sowie ihre Beziehung zu den muslimischen Kurden ihrer Umgebung am Vorabend des Genozids. Vorangegangen waren den Massakern die Gründung kurdischer Einheiten (sog. Hamidiye) sowie ihre Bewaffnung mit Hilfe Sultan Hamids II. In seinem Vortrag schilderte er den Verlauf des Völkermords. Er betonte, dass neben der Vernichtung der Suryoye auch die unwiederbringliche Zerstörung ihrer alten Kulturgüter (Bücher, Manuskripte) und Kirchen einhergingen. Am Beispiel einiger Dörfer zeigte der Redner, dass sich die Suryoye in einigen Dörfern nur deshalb erfolgreich gegen die Angriffe wehren konnten, weil sie in schwerster Not ihre Differenzen überbrückten und zur Verteidigung übergingen.
Anschließend zog der Autor Musa Ergin in einer Lesung aus seinem Roman „Stille Schreie“ die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich. Darin fasst er die emotionsgeladenen Gedanken der Betroffenen in Worte und machte mit seinem Erzählstil die inneren Zustände der damaligen Zeitgenossen greifbar. Unmittelbar danach thematisierte die Menschenrechtsaktivistin Zeynep Tozduman den Umgang der türkischen Politik mit dem Völkermord von 1915, der von Leugnung und Legalisierung begangenen Unrechts geprägt sei. Sie hob hervor, dass es an den Suryoye und anderen christlichen Minderheiten nach wie vor eine fortlaufende Unterdrückung gibt, die sich mannigfaltig manifestiere.
Im zweiten Teil des Veranstaltungstags stand der Terror des sog. Islamischen Staates im Mittelpunkt der Betrachtung. Mit Nuri Kino betrat ein preisgekrönter Journalist und Initiator der „A Demand For Action“ die Bühne des vollbesetzten Saals. Anhand einer Präsentation führte er dem gebannten Publikum vor Augen, wie er und seine Mitstreiter mit der Versendung von 15 000 E-Mails der Weltöffentlichkeit und Staatsoberhäuptern einen begonnenen Völkermord an den Christen im Nahmen Osten belegte. Seine Aktion, die er mit Bildern anreicherte, blieb in sozialen Netzwerken nicht unbeachtet. Im Gegenteil: Es folgten Demonstrationen, öffentlichkeitswirksame Auftritte in US- und UN- Einrichtungen und die Veröffentlichung von Zeitungsartikeln, welche das Ausbluten des orientalischen Christentums thematisierten.
Den emotionalen Höhepunkt markierte das Auftreten S.E. Davut M. Sharaf, dem vorerst letzten Erzbischof von Mossul. Dieser schilderte in seinem Augenzeugenbericht von der gemeinsamen Flucht mit abertausenden Christen aus Mossul und Umgebung unter abenteuerlichen Umständen, welche durch den plötzlichen Einfall des IS in die Stadt ihren Anfang nahm und dessen Folgen noch andauern. Mehrfach richtete er an die Versammelten einen flammenden Appell.
Seine Kernbotschaft: Die Christen müssen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, um nicht vollends aus dem Irak zu verschwinden.